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App-zeptiert?

Viele Länder haben mithilfe von Corona-Apps versucht, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Sie bringen aber nur etwas, wenn die Menschen sie auch nutzen. Neue Umfragen zeigen, welche Faktoren die Akzeptanz beeinflussen.

Symbolfoto

Die Corona-Warn-App informierte über Kontakte mit Infizierten. Copyright: CASA, Michael Schwettmann

Vignette DE

Beispiel einer Vignette, die verschiedene Aussagen über Merkmale der App in ein spezifisches Szenario kombiniert. Copyright: Christine Utz

Christine Utz

Christine Utz hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen analysiert, welche Faktoren die Akzeptanz von Corona-Apps beeinflussen. Copyright: Casa, Michael Schwettmann

Corona FFP-Maske

Corona-Apps sollen dazu beitragen, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Copyright: CASA, Michael Schwettmann

Der Ausbruch des Sars-Cov-2-Virus führte in vielen Ländern der Welt dazu, dass Smartphone-Apps eingeführt wurden, um Kontaktverfolgungen möglich zu machen, Infektionsketten schneller zu unterbrechen und so das Pandemiegeschehen besser kontrollieren zu können. Auch die Bundesregierung appellierte an die Bürgerinnen und Bürger, die sogenannte Corona-Warn-App zu installieren, um sich und andere über Kontakte mit Infizierten zu informieren. Die Effizienz solcher Apps beruht dabei wesentlich auf der Akzeptanz und damit der Verbreitung der App. Was motiviert Menschen dazu, Corona-Apps zu nutzen? Und was hält sie davon ab? Ein Forschungsteam der Ruhr-Universität um Prof. Dr. Markus Dürmuth und Dr. Christine Utz hat ebendiese Fragen rund 7.000 Menschen auf drei Kontinenten gestellt.

Innovatives Vignetten-Design
Um herauszufinden, welche Faktoren die Entscheidung für oder gegen eine App maßgeblich bestimmen, griffen Utz und Dürmuth in ihren Umfragen auf eine besondere Forschungsmethode zurück, das sogenannte Vignetten-Design. Es findet vor allem in der Marktforschung häufig Anwendung. „Vignetten sind kurze, fiktive Szenarien, die den Befragten vorgelegt werden und zu denen sie dann Fragen beantworten müssen. In unserem Fall geht es um fiktive Corona-Apps mit unterschiedlichen Eigenschaften, die auf realen Apps beruhen“, erklärt Utz. „Bei Corona-Apps ist der Kontext, in dem sie genutzt werden, entscheidend“, hebt Dürmuth hervor. „Welchem Zweck dient die App? Welche Arten von Daten werden erhoben und wie lange werden sie gespeichert? Wer hat Zugriff auf die Daten? Wir wollten all diese Dimensionen und Faktoren berücksichtigen“, so der Informatiker.

Insgesamt acht App-Funktionalitäten – etwa Zweck der App oder Dauer der Datenspeicherung – mit bis zu 16 unterschiedlichen Auswahloptionen ließen die Forschenden in ihre Studien einfließen. Aus der Kombination ergaben sich rund 50.600 Szenarien. Eines lautete beispielsweise: „Stellen Sie sich eine App vor, die der Quarantänekontrolle dient und dafür Ihren Aufenthaltsort stündlich an das Gesundheitsamt und die örtliche Polizei schickt.“ Den teilnehmenden Personen wurden jeweils zehn solcher Szenarien vorgelegt. Dann mussten sie angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie die beschriebenen Apps nutzen würden. „Der Vorteil dieses Designs ist, dass man aus den Daten am Ende den Einfluss verschiedener Faktoren auf die Gesamtakzeptanz herausrechnen kann und präzise beschreiben kann, welche Faktoren die Akzeptanz stark beeinflussen und welche nicht“, fasst Dürmuth zusammen.

Umfragen in China, USA und Deutschland
Für die ersten Befragungen im Sommer 2020 adressierten die Forschenden jeweils 1.000 Teilnehmende aus China, den USA und Deutschland. „Da man in China, also im Ursprungsland der Pandemie, insgesamt routinierter mit staatlichen Apps umgeht, fanden wir dieses Zielland spannend“, erklärt Dürmuth. Auch Deutschland war als Untersuchungsland eine naheliegende Wahl. „Im Hinblick auf zum Beispiel Privacy-Erwartungen stand Deutschland stellvertretend für das damalige europäische Vorgehen“, so Dürmuth weiter. „Die USA waren zum Zeitpunkt unserer ersten Studie massiv betroffen. Wir haben erwartet, dass die Menschen in den USA die Nutzung der Apps anders einschätzen, zum Beispiel, dass ihnen der Schutz ihrer Privatsphäre weniger wichtig wäre“, begründet Utz die Wahl.

Verfügbarkeit von Apps
Zum Zeitpunkt der ersten Umfrage war die Pandemie in den Ländern unterschiedlich weit fortgeschritten – und ebenso die Nutzung und Verbreitung von Corona-Apps. „In China waren Apps von WeChat und Alipay mit zusätzlichen Gesundheits-Plugins bereits im Umlauf. Etwa 60 Prozent gaben an, diese auch zu nutzen“, erklärt Utz. Anders sah es zu dem Zeitpunkt in Deutschland und in den USA aus, wo noch keine oder wenige Apps auf dem Markt waren. „In den USA griffen rund sieben Prozent auf Gesundheits-Applikationen zurück; in Deutschland nutzten im Sommer 2020 etwa vier Prozent die Warn-App des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, NINA“, so Dürmuth.

Das änderte sich im Laufe eines Jahres, wie Nachfolgebefragungen im Winter 2020 und Frühjahr 2021 unter Teilnehmenden aus Deutschland und den USA ergaben. So nutzten Anfang 2021 bereits 43 Prozent aller Befragten in Deutschland eine App, mehrheitlich die Corona-Warn-App. Auch in den USA stiegen die Zahlen, allerdings blieb die Nutzungsrate insgesamt über die drei Umfragerunden vergleichsweise niedrig. „Im Frühjahr 2021 gaben nur elf Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner an, eine App zu nutzen. Das erklären wir uns unter anderem damit, dass es keine einheitliche App-Lösung für alle Bundesstaaten gab“, so Utz.

Verlauf der Pandemie entscheidend
Den starken Anstieg der Nutzung in Deutschland führen die Forschenden vor allem auf die bundesweite Verfügbarkeit der neuen Corona-Warn-App und ihre Verbreitung zurück. „Wer die App kennt, ist auch mehr bereit, sie zu nutzen“, resümiert Dürmuth. Außerdem, so hebt er hervor, habe es von vornherein, trotz aller Skepsis, eine grundsätzliche Bereitschaft zur Nutzung einer App gegeben. „Die positiven Aspekte und der Gesamtnutzen überwiegen die Skepsis“, so Utz. Tatsächlich, so belegen die Umfrageergebnisse in Deutschland und den USA, nahm die positive Wahrnehmung von Covid-19-Apps zu. In der dritten Befragungsrunde im Frühjahr 2021 waren bereits 294 von 1.000 Deutschen und 302 von 1.000 US-Amerikanerinnen und -Amerikanern davon überzeugt, dass es keine negativen Aspekte der Apps gebe. Dieses Ergebnis führen Utz und Dürmuth auch auf das Pandemiegeschehen während der Umfragezeiträume zurück. „Insbesondere die zweite Befragung fiel in eine Phase mit hohen Infektionszahlen und Lockdowns“, erklärt Utz.

Privatsphäre als anhaltender Schlüsselfaktor
Und dennoch: Unabhängig von der Verfügbarkeit der Apps und vom Pandemiegeschehen zeigte sich über den gesamten Befragungszeitraum, dass die Nutzungsbereitschaft auf allen Kontinenten maßgeblich vom Schutz der privaten Daten abhängt. „Die Frage, was mit meinen privaten identitätsbezogenen Daten passiert, hat einen großen Einfluss auf meine Bereitschaft, die App zu nutzen“, so Dürmuth. Bereits im Sommer 2020 gaben 292 von 1.000 Deutschen die Sorge um die Privatheit der Daten als Hauptgrund an, warum sie Corona-Apps nicht nutzen. In den USA traf das auf 337 der 1.000 Befragten zu, in China auf 179. Die Befürchtungen hatten über die drei Umfragerunden Bestand: Auch in der dritten Runde nahmen noch 226 von 1.000 Deutschen und 257 von 1.000 Befragten aus den USA die Apps als Eingriff in die Privatsphäre wahr und als einen wichtigen Grund, sie nicht zu nutzen. Außerdem fürchtete man die Überwachung durch den Staat: Diese Sorge äußerten in der ersten Befragungsrunde 174 Teilnehmende in Deutschland und 70 aus den USA.

Datenempfänger entscheidend
Insbesondere die Empfängerinstitution spielt bei der Entscheidung für oder gegen eine App in allen Ländern eine zentrale Rolle. „Unsere Umfrage hat ergeben, dass das Vertrauen in Gesundheitsinstitutionen – in Deutschland etwa das RKI oder Universitäten – hoch ist. Hier stellt man die Daten eher zur Verfügung. Wenn der Empfänger aber ein privates Unternehmen, die breite Öffentlichkeit oder die Strafverfolgung ist, sieht das, je nach Land, unterschiedlich aus“, weiß Utz. In Deutschland reduziere die Aussicht, dass diese privaten Daten an Dritte, etwa die Polizei oder private Unternehmen geraten, deutlich die Bereitschaft, solche Apps zu nutzen. In China teile man seine Bewegungsdaten bereitwilliger mit der Öffentlichkeit, nur privaten Unternehmen stünde man skeptisch gegenüber. „Hier gehört es zum Alltag, personenbezogene Daten mit staatlichen Institutionen zu teilen“, so Utz. Insgesamt gilt für alle drei Länder: „Man ist eher gewillt, staatliche Gesundheitsapps für weniger invasive Zwecke zu nutzen, etwa zur Kontaktverfolgung oder zur Gewinnung von Informationen, als für invasive Zwecke, wie etwa die Quarantäneüberwachung“, so Dürmuth.

Was folgt daraus für die Weiterentwicklung von Apps? Utz und Dürmuth appellieren an die Architektinnen und Architekten künftiger, staatlicher Gesundheitsapps, die Sorge der Nutzerinnen und Nutzer um die Privatsphäre ernst zu nehmen. „Es muss ganz genau erklärt werden, wie die Apps konkret funktionieren, was sie leisten können und was nicht. Die Apps müssen transparent beschreiben, für welche Zwecke Daten gesammelt und gespeichert werden, wer diese erhält und welcher persönliche und gesellschaftliche Nutzen daraus resultiert“, resümieren die Forschenden.

Originalveröffentlichungen
Christine Utz, Steffen Becker, Theodor Schnitzler, Florian M. Farke, Franziska Herbert, Leonie Schaewitz, Martin Degeling, Markus Dürmuth: Apps against the spread: Privacy implications and user acceptance of COVID-19-related smartphone apps on three continents, in: Proceedings of the 2021 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems, 2021, DOI: 10.1145/3411764.3445517

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Der Artikel erscheint im Rahmen der Sonderausgabe IT-Sicherheit des Wissenschaftsmagazins Rubin 2022/23.

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